Die Einsamkeit eines Katers
im Irrenhaus
Ich heiße Sokrates, mein
Vater war Mathematiker
in Princeton, wo er nächtelang durch die
Parks der Kleinstadt strich
und Gesänge vollführte
von denen die Welt noch nichts gehört hatte.
Niemand verstand ihn- er
schien direkt aus dem
Garten Eden entsprungen. Meine Mutter ist verschollen
in den Weiten meiner Seele,
vielleicht kann sie mich
von da, wo sie jetzt ist, sehen-
ich war ihr
Liebling in meinem Wurf.
Die Leute hier sind
freundlich zu mir, manche haben Angst vor
dem Unwetter des Frühlings,
das alljährlich über
die Welt hereinbricht (ich kann ein Lied davon
singen). Mein bester Freund
ist der Pförtner in seiner
Hütte, manchmal sitzen wir stundenlang nebenein-
ander und starren auf das
Treiben der Vögel. Seit
ich kastriert wurde, ist meine Stimme im Keller-
ich bin nun so schweigsam
wie Mäuse im Winter.
Wenn die jungen Kerls aus der Plattensiedlung
vorbeikommen, zeige ich ihnen,
was ‘ne Harke ist.
Sollen ‘mal lieber auf ihrem Friedhof streunen
da sammelt sich genug junges
Gemüse über & unter
den Sträuchern. Der Zaun des Klinikparks ist die
Grenze meiner Welt. Unumschränkt
herrsche ich in
meinem Reich, selbst der Rattenkönig ist mir zu
Willen. Ich brauche keine
Dankopfer mehr in
meinem Alter- nur ein Schälchen verdünnte Milch
jeden Morgen & den Anteil
am Unglück der Menschen
den ein Kater zum Leben braucht. Einmal im
Jahr besuche ich meine Zwillingsschwester
hinter
den Mauern der alten Fabrik, sie ist mein
ganzes Gegenteil und haßt
die Menschen wie die
Mäuse. Ich mag sie sehr, denn ich kann sie
verstehen in ihrer unbändigen
Freiheitsliebe. Nie
würde sie sich einsperren lassen in einem Keller, ihre
Wege führen immer ins Offene
hinaus. Früher hat
sie mich arg gepiesackt und mit nicht zu bremsender
Katzenliebe den Nackenbiß
an mir geübt. Ich
habe noch immer Hornhaut an jener Stelle
wo ihre Fangzähne meine Haut
einzudrücken pflegten wie
spitze Finger einen Luftballon. Ich muß jetzt
weiter, denn die reinliche
Küchenchefin rechnet fest mit
meiner Anwesenheit. Wenn du ‘mal wieder hier bist
bring doch einfach fünf Minuten
Ewigkeit mit für ein
kultiviertes Gespräch unter vier Augen, du weißt
ich werde dich nie enttäuschen
mit meinen Gewohnheiten.
frei nach T.S.Eliot
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